Glaubte die Wacker- Chemie im Jahr 2005 an den weiteren Bahnausbau Mühldorf- München?

Güterwagons aus Burghausen warten in Mühldorf auf den Transport nach München

Inn-sider.de: Die Mühldorfer Bahnstrecke ist Bayerns am meisten befahrene, eingleisige Bahnlinie. Denn neben dem Personenverkehr fahren hier viele Güterzüge ins bayerische Chemiedreieck.

Jeden morgen, wenn 15.000 Berufspendler von Mühldorf über Schwindegg und Dorfen nach München unterwegs sind, benötigt die Industrie in Burghausen und Gendorf das Rohmaterial aus München. Jeden Abend, wenn die Pendler von München zurück nach Mühldorf fahren, steuern die Güterzüge aus dem Chemiedreieck das Ziel München an. Nicht alle, aber viele.

Die Wacker- Chemie in Burghausen hat in den vergangenen Jahren viel investiert. In der Mitarbeiter- Zeitung sagte Wacker Vorstandsmitglied Auguste Willems: „Langfristig können wir in Burghausen nur soviel wachsen, wie sich das Straßen- und Schienennetz verbessert“.

Das Vorstandsmitglied weiter:
„Es gibt viel zu viele konkurrierende und dabei bestens angebundene Standorte auf der Welt, als dass eine Region es sich leisten könnte, ihre Infrastruktur zu vernachlässigen. Unser mit Abstand größter Standort Burghausen hat in dieser Hinsicht bekanntlich Defizite. Dort entspricht die Verkehrsanbindung- ich erinnere nur an die nicht vollständig elektrifizierte und zum Teil eingleisige Bahnstrecke- in einigen Aspekten noch dem Stand des späten 19. Jahrhunderts.“

In dem Interview der Mitgliederzeitschrift wird darauf gefragt:
„Dennoch hat der Konzern in den letzten Jahren massiv den Standort ausgebaut…“

Wacker Vorstandsmitglied Auguste Willems dazu:
„Seit 2005 haben wir mehr als zwei Milliarden in Burghausen investiert (..). Doch sollten die Verantwortlichen in Land und Bund unsere Investitionsbereitschaft keineswegs als Freibrief nehmen, um die Verkehrsanbindung des bayerischen Chemiedreiecks weiter so stiefmütterlich zu behandeln, wie das in den letzten Jahrzehnten der Fall war.“

Auffällig ist, dass Wacker augenscheinlich den großen Versprechen der Politik im Jahr 2005 Glauben schenkte. Damals sagte der bald darauf abgewählte Bundeskanzler Gerhard Schröder von der SPD in einem letzten Wahlkampf- Programm 64 Millionen Euro zu, für den zweigleisigen Ausbau von Ampfing bis Altmühldorf.
Schröder wurde abgewählt, doch mit Angela Merkel, unter der großen Koalition mit CDU, CSU und SPD, wurde die Anbindung des Chemiedreiecks nicht besser.

Sowohl Firmen, als auch Pendler gingen im Jahr 2005 davon aus, das wäre der Beginn des nicht zuletzt von der chemischen Industrie gewollten, zweigleisigen Ausbaues nach München, dem die Elektrifizierung folgen sollte. Doch sie alle wurden eines besseren belehrt. Politiker behaupteten lange Zeit parteiübergreifend, bis zum Jahr 2015 würde der Bau zwei weiterer, zweigleisiger Abschnitte erfolgen, bei Dorfen und Hörlkofen. Bis plötzlich die Pläne dafür verschwunden waren.
Zwischenzeitlich sagte die EU zudem nur mehr Fördermittel zu, wenn der Ausbau der Strecke „im Gesamten“ und nicht nur in Teilstücken angegangen werde.

Heute, im Jahr 2012, sehen die Ausbauplanungen desaströs aus: Eigentlich sollten im September die Vorplanungen für den weiteren Ausbau und vor allem die Elektrifizierung fertig sein.
Die EU stellte dafür bereits im Jahr 2008 Millionen zur Verfügung, Geld, das in Berlin bis dato nicht abgerufen wurde. Besonders erschreckend ist, dass diese Gelder noch von einem SPD- Mann aus Leipzig beantragt wurden: Dem damaligen Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee.
Sein Nachfolger aus Traunstein, CSU- Bundesverkehrsminister Ramsauer, verzichtet hingegen augenscheinlich auf die acht Millionen Euro Zuschuss aus Brüssel.

So werden diese Vorplanungen nicht vor dem Jahr 2014 fertig, ist zu hören. Erst mit dem Ergebnis dieser Vorplanungen könnten weitere Planungen beginnen, die frühestens im Jahr 2020 „baureif“ wären. Mit den weiteren, zweigleisigen Abschnitten ist keinesfalls vor dem Jahr 2025 zu rechnen. Kalkulationen, die bei der Wacker- Chemie sicherlicht nicht für Begeisterung sorgen.

Dem zu Folge fragte die Mitgliederzeitung der Wacker- Mitarbeiter weiter nach:
„In Burghausen wurden im vergangenen Jahr etwa 30 Prozent der ausgehenden Ware mit der Bahn abtransportiert und circa 70 Prozent auf der Straße. Hat der Aus- und Weiterbau der Autobahn A94 von München nach Passau deshalb Priorität gegenüber dem Ausbau der Bahnanbindung?“

Wacker Vorstandsmitglied Auguste Willems:
„Beides muss erfolgen! Wenn Sie den Wareneingang in unserem Werk betrachten, dann liegt das Verhältnis wiederum umgekehrt. 60 Prozent der in Burghausen eingehenden Tonnage wird auf der Schiene transportiert (..). Derzeit heißt es, dass der Ausbau Ende dieses Jahres beginnen und die Strecke Ende 2016 zweigleisig befahrbar sein soll (Anmerkung der Red.: Gemeint ist der Ausbau Mühldorf- Tüßling). Bislang haben wir keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln. (..) Ende 2013 soll in Burghausen ein neues KV- Güterterminal für den sogenannten kombinierten Verkehr in Betrieb gehen. (..)“

Weiter fragte die Zeitschrift:
„Seit dem Jahr 2010 hat Wacker seinen Tonfall gegenüber der Politik deutlich verschärft. Die mangelhafte Verkehrsanbindung des Standorts sei „ein Investitionshemmnis“, das Arbeitsplätze gefährde, kritisieren Sie in einem Interview mit dem Münchner Merkur.“

Wacker Vorstandsmitglied Auguste Willems:
„Solche klaren Worte waren nötig: Der Ausbau der Bahnstrecke München- Mühldorf- Freilassing wurde Mitte der achtziger Jahre in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen. Also vor mehr als 25 Jahren. Das erste Raumordnungsverfahren für die A94 fand bereits im Jahr 1977 statt. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert werden die Menschen und Unternehmen in der Region hingehalten“.

Nachdem Wacker diese klare Worte wählte, gab es aus der Politik nur Hohn und Spott.
Peter Ramsauer, als Bundesverkehrsminister von der CSU verantwortlich für den neuerlichen Stillstand seit dem Herbst 2009 beim Ausbau der Bahnlinie München- Mühldorf, bezeichnete die Worte der Industrie wörtlich als „Kettenrasseln“.

Flughafen- Anbindung und Erweiterung im Interesse der Wirtschaft?

Die Wacker Chemie ist zudem Mitglied im Aktionsbündnis für den Bau einer dritten Startbahn am Münchner Flughafen. Dazu kam eine weitere Frage an das Vorstandsmitglied: „Wie relevant ist eigentlich die Luftverkehrsanbindung für einen Chemiekonzern?“

Wacker Vorstandsmitglied Auguste Willems:
„Als ein internationaler Konzern, der mehr als 80 Prozent seines Umsatzes außerhalb Deutschlands macht, sind wir und unsere Kunden selbstverständlich an leistungsstarken Flugverbindungen interessiert. (..) obwohl unsere klassischen Chemieprodukte vor allem auf der Straße, der Schiene und mit dem Schiff transportiert werden, so nutzen wir doch auch die Möglichkeit der Luftfracht: Zum Beispiel verschickt die Siltronic AG fast alle in Deutschland hergestellten Wafer, die an Kunden in Übersee gehen, mit dem Flugzeug.“

Vor circa einem Jahr gab es bezüglich der Verkehrsanbindung bereits einen Brandbrief der Betriebsräte aus dem Chemiedreieck an Ramsauer. Die Mitarbeiter äußerten Sorgen, langfristig ihre Arbeitsplätze zu verlieren, sofern der Ausbau der Infrastruktur nicht endlich an Fahrt aufnehme.
Die Antwort Ramsauers, wurde nie öffentlich.

Interessant ist, dass die chemische Industrie sich mit dem zweigleisigen Ausbau Mühldorf- Tüßling bis zum Jahr 2016 zufrieden gibt. Ohne die Aussicht auf eine Elektrifizierung der Bahnlinie nach München und weitere zweigleisige Abschnitte.

Heute sind so durchaus Parallelen angebracht, zwischen den Jahren 2005 und dem Status quo. Der zweigleisige Ausbau der Bahnstrecke von Mühldorf nach Tüßling wird kein weiterer Meilenstein, sondern ist eigentlich als der Anfang vom Ende des Ausbaues zu betrachten.

Kann der Ausbau des Gesamtabschnittes von Ampfing über Mühldorf bis Tüßling noch als ein guter Schritt betrachtet werden, so fehlt für weitere Ausbauten Richtung München neben der Perspektive das Geld und zudem ein Konzept.

Die europäischen Ideen des Ausbaues, im Rahmen der „Magistrale für Europa“, behindern bis heute einen Teilausbau, zugunsten des Personen- Nahverkehres und der Güterzüge.

Auf der Bahnstrecke Mühldorf- München gibt es immer noch Weichen und Signalanlagen aus dem 19. Jahrhundert, die an einigen Bahnhöfen von Hand gesteuert werden.

Während der Baumaßnahmen in diesem Sommer, zwischen Mühldorf und München, verkehrten Güterzüge über die Strecke Wasserburg/ Ebersberg. Anwohner beschwerten sich hier über nächtlichen Lärm.

Interessant ist, dass diverse Neben- Bahnlinien selbst nachts befahren werden können, ohne zusätzliches Personal vor Ort einsetzen zu müssen.
Weichen und Schranken werden elektronisch gesteuert, nicht von Hand. Ein Zustand, der dank des europäischen Fokus der Strecke Mühldorf- München bis weit über dieses Jahrzehnt eine Utopie bleiben wird.